Warum ich ewig lebe!
„Warste schon mal mit Delfinen schwimmen? Totale Ekstase so.“ Die Frau namens Birgit auf einer dieser schrecklichen Sommer-Partys will natürlich nicht über Delfine reden – sie will mich in einem esoterischen Wettkampf besiegen. „Kennst du Power-Fasten nur mit „Green Smoothies“ bei zeitgleicher Leber-Entgiftung und parallelem Mantra-Singen im Lotus-Sitz – habe ich acht Monate lang in einem Kloster in Tibet praktiziert!“ kontere ich. Kloster in Tibet – das muss sie erst mal stechen…
„Ach, Tibet,“ haucht sie fast erotisch, „in Lhasa hatte ich meine Nahtod-Erfahrung! Nach einem dreijährigen Schweige-Retreat auf tibetischen Butter-Tee verließ ich meinen Körper, gelangte in einen langen dunklen Tunnel und schwebte langsam auf ein Licht zu!“ „Kenn ich,“ sage ich, „ eine ähnliche Erfahrung hatte ich mal mit der Berliner S-Bahn. Nahverkehr hat ja auch viel gemeinsam mit Nahtod – besonders wenn es um ein Job-Interview geht, bei dem man pünktlich erscheinen muss.“
„Nur weil dein spirituelles Wachstum in einer Sackgasse steckt, musst du hier keine billigen Scherze machen,“ schießt Birgit in meine Richtung. „Nahtod-Erfahrung gut und schön,“ erwidere ich, „aber hattest du schon mal eine Fern-Tod-Erfahrung?“ „Wie bitte?“ „Eine Erfahrung, in der man den Tod ganz von ferne sieht. Etwa, wenn man sich mit einer Sicherheitsnadel in den Finger sticht und fühlt, dass es nicht unbedingt tödlich verlaufen wird. Dann hat man eine Ferntod-Erfahrung.“ „Sehr witzig.“ „Es war die Erfahrung von Ewigkeit. Der Stich versetzte mich in Trance, in welcher der Tod sagte, dass er mir gern näher kommen und mich küssen möchte. Ich sagte: Du, lieber nicht, ich führe mit dem Tod ganz gern eine Fern-Beziehung, quasi eine Fern-Tod-Beziehung. Man kennt das von menschlicher Liebe, wenn man erst mal zusammen zieht, wird’s kritisch… Solange meine Fern-Tod-Erfahrung anhält, bin ich unsterblich…“