Warum wir nicht besser werden sollten!
Das Leben ist sinnlos. In 100 Jahren wird niemand mehr wissen, wer wir waren oder was wir taten, und selbst wenn wir dann noch als Mozart oder Einstein verehrt werden – den an unseren Gebeinen nagenden Würmern ist das völlig schnuppe. Trotzdem versuchen wir, unserem Leben eine Bedeutung zu geben und das Meiste rauszuholen, indem wir uns selbst optimieren. Dafür braucht man objektive Daten. Eine Vielzahl von Applikationen hilft bei dieser Vermessung des „Selbst“: Apps, die Blutwerte und -Druck messen, die den Kalorienverbrauch aufzeichnen, die Schritte zählen – all das ist heute billige Standardausrüstung.
Wahre Optimierer vermessen ihr Leben viel umfassender. Da wird der Schlaf gemessen und der „Sleep Talk Recorder“ zeichnet auf, was man während des Schlafes sagt. Das erinnert den Horst Seehofer dann am Morgen, dass er es „der blöden Berliner Ziege mal zeigen“ möchte. Die Apps sind vernetzt, damit die „Community“ einem hilft. So kriegt der Horst „Echtzeit“-Zustimmung vom Söder: „Obergrenzgeil – mach sie alle“!
Die App „Bedpost“ zeichnet die Sex-Gewohnheiten auf, während „Poop-Log“ die Verdauung misst – eine kombinierte App, welche die Verdauung während des Sex sowie Bettgeflüster mitschneidet, soll unter dem Namen „Charlie Sheen“ in der Testphase sein. „Life360“ verfolgt Leben und Aufenthaltsorte sämtlicher Familienmitglieder, während „MCouple“ nur Zugriff auf sämtliche Daten des Ehepartners zulässt. Finanzen werden ebenso getrackt wie Produktivität, Energiekonsum, CO2-Ausstoß und am Ende des Tages sagt einem eine letzte App, dass man eindeutig zu viel Zeit mit der Kontrolle diverser Kontroll-Apps verbrachte.
All das basiert auf der Annahme, dass ich nicht in Ordnung bin und mich durch strikte Kontrolle verändern sollte. Kann ja auch sinnvoll sein. Wenn ich stark übergewichtig bin und zu viel saufe, könnte es Zeit für etwas Einschränkung sein. Oder Zeit für meine Memoiren als Rainer Calmund. Aber in einer Gesellschaft, deren Motor der ständige Vergleich mit nicht zu erreichenden Idealen ist, ist diese Kontrolle in etwa so sinnvoll wie ein Kokainentzug durch Schnaps.
Wir brauchen eine neue App, die sofort Alarm schlägt, wenn man anfängt, sich zu stark zu kontrollieren. „Chill mal, Alter“, könnte sie einem noch sagen, bevor das Smartphone sich ausschaltet und sämtliche personenbezogenen Daten löscht.