Warum wir jetzt Glühwein trinken!
Glühwein – einst jenes Bastard-Baby von Alkohol und Zucker, das Berliner Szene-Bars und angesagte Kneipen verächtlich in die hinterste Ecke des Weihnachtsmarktes verbannten, ist auf einmal das angesagte Getränk der Saison. War Glühwein früher das Einzige, was Papi noch AUF dem Weihnachtsmarkt blieb, so ist er heute das Einzige, was Papi noch VOM Weihnachtsmarkt bleibt. Um einen kümmerlichen Rest vorweihnachtlicher Gemütlichkeit zu erhalten, schenken auf einmal alle „Glühwein zum Mitnehmen“ aus. Oder – wie es wahrscheinlich auf „Szene-Deutsch“ bei Starbucks heißt: „Hot Spicy Sugar Topped Wine to Go“.
Natürlich darf man den Glühwein nicht in weinseliger Intimität genießen, sondern nur in sicherer Entfernung vom Bezugspunkt. Clevere Marketing-Strategen erfanden daher den „Glühwein-Spaziergang“. Ganz clevere erfanden sogar ein „Glühwein-Taxi“ – auch der „Drogen-Kurier“ ist eben nicht mehr das, was er mal war…
Dummerweise verleitet der Genuss des alkoholischen Zuckertranks dazu, den Glühwein-Spaziergang“ gern mal in einen „Glühwein-Spazierstand“ zu verwandeln. Mit drastischen Konsequenzen: Tumulte in Heidelberg mit 200 unmaskierten Trinkern, wüste Szenen bei ähnlich gearteter „Glühwein-Wanderung“ in Köln – wer hätte gedacht, dass Glühwein mal zu den harten Jungs der Drogenszene aufsteigen würde?!
Der Zuckertrank hat es sogar zum Politikum geschafft: während die einen über ihn „lauterbachen“ und seinen kontaktfreudigen, maskenbefreiten Konsum am liebsten auf eine Stufe mit versuchtem Totschlag stellen möchten, sehen andere in ihm eine letzte Bastion von „Normalität“ und „Weihnachtsmarktgemütlichkeit“. Wobei es natürlich auch einiges über den derangierten Zustand einer Gesellschaft aussagt, wenn ein zucker-klebriges Leicht-Alkoholikum es dermaßen in die Schlagzeilen schafft.
Da freut man sich lieber auf Silvester – wenn die Skandale eher zischen und krachen als beduseln.