Warum Krisen eskalieren
Vor ein paar Tagen fuhr ich in den Baumarkt. Genauer gesagt: in den Baumarkt Drive-In – da, wo nur ganze Kerle reinfahren, die Zementsäcke direkt in den Kofferraum laden, um sie nicht schleppen zu müssen. Oder, wie in meinem Fall, Blumenerde. Vor mir ein Handwerker-Transporter, mit einem echten Kerl als Fahrer. Auch er hält bei der Blumenerde. Als er ein paar Säcke eingeladen hat, rücke ich vor, um nicht so weit schleppen zu müssen. Dadurch behindere ich allerdings seinen direkten Weg zur Ladeklappe, was er auch lautstark moniert: „Eh, sach ma, geht’s noch? Hast du’n A…. offen?“ Ich realisiere, dass ich einen Fehler gemacht habe, und setze wieder zurück.
In dem Augenblick zeigt sich, dass in der Corona-Krise die Nerven wesentlich blanker liegen als sonst. Er beschimpft mich einfach weiter: „Was bist du denn für ne Flachpfeife, du Wich…?“ Hier wäre de-eskalierende Kommunikation angebracht gewesen. Etwas in der Art von: „Ich entsinne mich nicht, dass wir einander das Du angeboten hätten.“ Oder: „Gottseidank ist das Wich… ja eine Tätigkeit, die selbst Flachpfeifen relativ intuitiv beherrschen.“ Stattdessen schrie ich relativ einfallslos zurück: „Selber Wich…!“
Nun setzte sich das in Gang, was Fachleute als „Eskalations-Spirale“ oder „Regression“ bezeichnen. Er kontert mit einem „Du dummes, hässliches A….loch!“ Ich mit dem Spruch, der schon meine Geschwister in Kinderjahren wild machte: „Selber 1000 Mal a….lochiger!“
Jetzt ist er nicht mehr zu bremsen: „Sag mal, bist du schwul oder was?“ Auch hier verpasste ich die eleganten Antworten wie: „Leider bin ich für Homosexualität nicht stilsicher genug.“: Stattdessen röhre ich: „Du bist doch 1000 Mal schwuler als ich!“ Das führt bei ihm zum laut gebrüllten Wunsch, mich anal zu beglücken: „Ich f… dich in den A…., du W…“ Steilvorlage für: „Da schlummern also in der Tat homosexuelle Fantasien“ oder „Nanana, dafür ist die Situation jetzt vielleicht doch nicht erotisch genug“ oder eben, wie in meinem Fall, die zurück gebrüllte Ansage, dass seine Potenz dafür vermutlich nicht ausreicht…
Wir verabschieden uns mit dem gegenseitigen Wunsch nach „einem beschissenen Wochenende“. Ich bin nicht stolz darauf. Auch hier hätte es die Möglichkeit vieler reflektierter Repliken gegeben. Aber wenn die Nerven blank liegen, ist Schlagfertigkeit nur das, was einem auf dem Nachhauseweg einfällt.